Samstag, 17. November 2012

Mühlrad

Du wirst vom Wecker geweckt. Du schaltest ihn aus, bleibst ein wenig liegen und stehst dann mühevoll auf. Nachdem du dich, wie sich rausstellt, bedauerliche Weise, vor den Spiegel geschleppt hast, den Weg ins Bad antrittst, fragst du dich, wofür du aufgestanden bist. Doch den Gedankengang verfolgst du nicht weiter. Kein Gedanke kannst du wirklich greifen. Nach der morgendlich Dusche sollte es dir besser gehen. Fehlanzeige. Nun sind deine Augenlider zwar nicht mehr so schwer, aber schlapp fühlst du dich immer noch. Zurecht gemacht kommst du aus dem Bad und gehst in die Küche. Doch Hunger hast doch irgendwie keinen. Abgesehen davon, dass dich nichts aus dem Kühlschrank und dem Rest der Küche ansprichst, hast du auch kein Verlangen nach Essen. Du trinkst ein Glas Wasser, vielleicht einen Kaffee.
Also packst du dein Zeug, nimmst deinen Schlüssel, dein Geld und dein Handy und verlässt das Haus. An der frischen Luft angekommen zündest du dir eine Zigarette an. Da es mittlerweile eisig kalt ist, merkst den Unterschied zwischen Rauch und Luft aus deiner Lunge nicht mehr. Du läufst zur Bushaltestelle, wie jeden Morgen. 5 Minuten noch. Du holst deine Kopfhörer raus, um wenigstens ein wenig Ablenkung vom tristen Alltag zu bekommen.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit in der Kälte mit einigen dir vom Sehen bekannten Fremden steigst du in den Bus ein. Ein Schwall veratmeter, stickige Luft entgegen. Du hast Lust auf der Stelle umzudrehen, zu gehen und dich wieder ins Bett zu legen. Zum hundertsten Mal denkst du heute schon diesen Gedanken. Trotzdem steigst du ein.
Alles rauscht mehr an dir vorbei, als dass du es wahrnimmst. Der Bus hält. Du musst raus. Du schleppst dich auf den Bürgersteig.
Dir kommt jemand vertrautes entgegen. Unter Anwendung all deiner Kräfte versuchst du, deinen inneren Zustand in dir drin zu lassen und nicht nach außen wirken zu lassen. Scheinbar gelingt es dir.
Du wirst lächelnd begrüßt. Auch wenn du weißt, dass diePerson das ernst meint, bist du irgendwie genervt, fast angewidert von dem Kontakt. Am liebsten würdest du nur alleine sein. Vielleicht um die Menschen um dich rum nicht mitbekommen, wie es dir geht, vielleicht damit du sie nicht ungewollt verletzt mit dem, was du sagst. Du bist unheimlich leicht reizbar. Jeden, der mit dir spricht, weist du ab, lässt pampige Kommentare und unfreundliche Antworten von dir.
So verbringst du den halben Tag damit, womit du jeden tag verbringst. Das schwerlastende Mühlrad des Alltags lastet unheimlich auf dir. Nun ist die erste Hälfte geschafft. Du kommst wieder an die frische Luft, weg von den Menschen um dich rum. Du versuchst deine Laune zu verrauchen, doch klappen tut es nicht.
Die Kälte beißt in deinem Gesicht. Der Wind brennt in deinen Augen. Deine Füße scheinen Eisblöcke zu sein.
Du trittst den Heimweg an. Genauso, wie du von zu Hause weg bist am morgen, so findest du auch wieder heim. Mit dem Bus, den bekannten Fremden, Musik auf den Ohren und in einem rauschartigem Zustand. Der hält mittlerweile schon den ganzen Tag, die ganze Woche, seit Monaten an. Du steigst zu Hause aus, der Bus fährt weiter. Du schließt mit deinen letzten Kräften die Haustür auf. Lässt deine Sachen noch im Flur von dir fallen. Sie scheinen Tonnen zu wiegen. Genau wie dein Körper. du kannst dich kaum aufrecht halten, also lässt du dich aufs Bett fallen. Mit dem Gesicht ins Kissen. So verweilst du einige Minuten. Du raffst dich auf.
Aber wozu weißt du eigentlich nicht. Du läufst durch die Wohnung. Sitzt mal am PC, mal am Fernseher, gehst eine Kippe rauchen, liegst auf deinem Bett. Starrst Löcher in die Luft. Es dreht sich alles, ohne dass dir überhaupt schwindelig ist. Es dreht sich in dir drin.
Die Uhr scheint zu schleichen. Doch irgendwann wird es dunkel, und später. Je später es wird, um so wacher wirst du. Doch aktiver wirst du nicht. Du liegst rum, lauschst den Geräuschen von draussen und der Musik aus deinen Lautsprechern. Du willst nicht einschlafen. Du hast keine Kraft für den nächsten Tag. Auch wenn er nicht anders sein wird, als der gerade vergangene.
Es ist lange nach Mitternacht. Draußen ist es still. Die Musik aus deinen Lautsprechern ist leise geworden. Deine Augenlider sind schwer. Dein Puls und dein Atmen ruhig. Du fühlst die Decke schwer auf dir liegen. Du schläfst ein. Schließt den Tag ab, um den nächsten zu beginnen.
Du lebst von Tag zu Tag. Von Woche zu Woche. An den Wochenenden verbringst du die Zeit zu Hause. Vielleicht mal mit Freunden, aber meist alleine.
Dein ganzes Leben scheint ein Routinetrott zu sein. Ein einziger fest eingelaufener Weg um den Mühlstein. Fragt sich nur, wann du keine Kraft mehr hast, das Mühlrad zu bewegen. Wann der entgültige Stillstand einsetzt.

Dienstag, 13. November 2012

Drahtseilakt

Du schiebst etwas vor dir her. Du weißt, es wird nichts ändern, wenn du es ständig nur weiterschiebst. Du weißt, dass es irgendwann über dir zusammenbrechen wird. Dein Netz aus gewollter und vielleicht auch ungewollter Illusionen, aus eingeredeten, völlig absurden Dingen, aus Wegschauen, aus bewusstem Ignorieren und unbeabsichtigtem Vergessen. Irgendwann wird all dies zusammenfallen, deine ast wird dich erdrücken. Zerdrücken. Du weißt all dies, doch änderst du nichts daran.
Um dich herum siehst du Mitmenschen. Alle gehen anders mit ihrer Last um. Manche bauen sie ab, manche können sie einfach fallen lassen, andere machen es genau wie du. Doch das interessiert dich nicht. Kümmert dich nicht. Du hast dein Paket. Doch siehst du, wie hilflos einige andere Menschen sind. Siehst nicht, dass sie dich genauso sehen. Willst es vielleicht auch gar nicht. Du versuchst ihnen ihre Last zu erleichtern. Versuchst sie zu stärken auf ihrem Weg. Doch dir raubt es, wenn auch unmerklich, immer mehr Kraft. Die Kraft, die von Nöten ist, dein eigenen Weg zu gehen. Du verlierst genau diesen aus den Augen. Hüpfst her, zwischen vielen Wegen, in Fußstapfen anderer, machst anderen den Weg leichter, beseitigst Hindernisse. Du bist überall, nur nicht da, wo du sein solltest. Auf deinem eigenen Weg. Du willst ihn gar nicht sehen. Denn du weißt nicht, wo er dich hinführen wird. Du willst nicht, dass sich irgendwas ändert.
Am liebsten würdest du einfach, da wo du bist, anhalten. Dich hinsetzen und nie wieder einen Schritt gehen. Doch auf diese Weise würdest du die anderen verlieren. Sie würden Abstand zu dir gewinnen. Du brauchst sie. Deswegen gehst du ihre Wege mit. Dieses Wege wechseln entzieht dir Unmengen Energie. Du merkst nicht, wie es langsam über dir in die Höhe wächst. Wie dein Kartenhaus der Selbstillusionen zu wackeln beginnt, weil es zu hoch geworden ist. Du trägst weiter die Last der Anderen mit. Redest dir ein, du könntest sie tragen. Sie stützen.
Du merkst, wie deine Muskeln zu beben beginnen. Sie zittern, ohne dass du es kontrollieren kannst. Dein Atem wird flacher, denn das erscheint dir als energiesparend. Dir geht die Luft aus. Vor deinen Augen ist mehr schwarz, unscharf und trüb, als klare Sicht. Dein Schwindelgefühl setzt ein. Dein Kreislauf kommt ins schwanken. Alles bebt in dir. Es bebt. Jedoch ohne ein einziges Geräusch. Deine Außenwelt sieht von all dem nichts. Weder das Muskelzucken, noch der Schwindel oder die fast verlorene Sicht auf das, was vor dir liegt. Auf das, was über dir droht einzustürzen. Auf das, was du nun verzweifelst versuchst zu stützen.
Du bist kurz davor, alles über dir fallen zu lassen. Du hast einfach keine Kraft und keinen Willen mehr, all dies zu stützen. Du kannst nicht mehr. Trotzdem baust du dein Turm immer höher. Immer mehr Steine, mit dem Namen anderer Menschen setzen sich auf seine Mauern. Deine Name ist schwer zu finden in dem Mauerwerk. Fast gar nicht. Ganz unten, kaum zu sehen steht er. Bildet das immer anwesende Fundament. Doch beachtet wird dies nie. Auch lässt du keine Blicke darauf zu. Weder von dir, noch von anderen. Es reicht, nur einen Stein zu bewegen, um alles einstürzen zu lassen.
Du weißt, dass es vorbei ist, wenn du jetzt aufgibst. Du weißt, dass sich viele Menschen auf dich stützen. Dass du all diese Menschen mit fallen lässt. Manche werden härter fallen als andere. Aus einer größeren Höhe stürzen, größeren Schmerz empfinden. Doch du liegst unter all dem. Alles bricht auf dich ein. Du wirst unter allem begraben werden.
Es erscheint jemand neben dir. Jemand, der dir neue Kraft, neue Energie und neuen Mut zu schenken scheint. Doch dafür bestimmt ist diese Person nicht. Das merkst du allzu bald. Du willst sie bitten an deiner Seite zu bleiben. Sie versuchen zu binden. Doch kannst du es nicht, weil du weißt, dass du enttäuscht werden wirst. Du merkst es. Du weißt es. Warum ? Weil es schon immer so war. Warum sollte es jetzt anders sein ? Es ist die gleiche Situation, wie bei jedem Versuch. Es lohnt nicht, das auszusprechen, was in dir vorgeht. Es wird vergeblich sein. Also sparst du dir die Kraft. Stützt weiter deine Last, die Last der anderen und hoffst darauf, dass das Fundament nicht nachgibt. Auch wenn du weißt, dass es das eines Tages tun wird.
Solang kannst aber weiter die begleiten, die dir wichtig scheinen. Ihnen helfen und in allen Situationen zur Seite stehen. Eines Tages wird die Person vielleicht unerwartet erscheinen. Die Person, die dazu bestimmt ist, DICH zu stützen. Vielleicht. Dann, wenn du dir selbst nicht mehr im Wege stehst. Dann wenn du gelernt hast, deine Last zu lindern. Dann, wenn von dir sagen kannst, dass du bereit bist, unterstützt zu werden, dass du es wert bist, unterstützt zu werden. Aber erst dann, kannst du die Person auch erkennen. Vorher wird sie eine Maske tragen. Für dich unsichtbar sein und genauso, wie alle anderen Menschen um dich herum aussehen.
Kampf um Kapitulation ?
Kampf gegen Kapitulation ?
Kampf um dich selbst ?
Kampf gegen dich selbst ?
Kampf für dich selbst ?
Kampf für andere ?
Wofür wendest du die Energie auf. Auf was richtet sich dein Fokus ?
Du weißt es nicht...Wie sollst du für etwas kämpfen, wenn du nicht den Grund, den Zweck und das Ziel kennst ?